Leseprobe: Daring Warrior - Liebe mich

Daring Warrior - Liebe mich


Verlassen von ihrem Ehemann Sitka, einem mächtigen Wasserkrieger, kämpft die junge Taralyn ums Überleben. Mittellos und ohne Perspektive, hat sie nur eine Möglichkeit, um sich und ihre drei Söhne vor dem Hungertod zu bewahren: Sie muss erneut eine Ehe eingehen. Doch das ist das Letzte, was Taralyn will. Nie wieder will sie von einem Mann und schon gar nicht von einem der ungezähmten Krieger abhängig sein. Kurzerhand macht sie sich auf dem Weg in die nächste Stadt, um zu versuchen, ihre Familie selbst zu ernähren. Dabei gerät sie ungewollt in Gefahr und wird ausgerechnet von dem mächtigen Erdkrieger Akira gerettet. Nicht nur, dass der schweigsame Kämpfer mit den bedrohlich wirkenden Tattoos sie niemals leiden konnte, er ist auch der beste Freund ihres Ex-Mannes.

Heißer Zorn und Frust brodelt in Akiras Bauch, als sein Kumpel Sitka seine Familie, Freunde und das Dorf verlässt. Schuld an allem ist in Akiras Augen die hübsche Taralyn, die Sitka nie eine gute Ehefrau gewesen ist. Um sich von seinem Ärger abzulenken, reitet er in die nächste Stadt. Er trifft auf eine bezaubernde, maskierte Fremde. Akira stiehlt ihr einen überwältigenden Kuss. Nie zuvor hat er sich so stark zu einer Frau hingezogen gefühlt. Doch hinter der Maske verbirgt sich niemand anderes als Taralyn, die sich in eine gefährliche Lage gebracht hat. Ihnen bleibt keine Wahl, sie müssen mitten in der Nacht gemeinsam fliehen ...


Leseprobe



Prolog

Der Duft von frischen Gewürzen lag in der Luft. Unbeschwertes Kinderlachen, fröhliche Musik und köstliche Speisen luden die Menschen zum Feiern ein.

Abseits des Trubels humpelte ein Mann, gestützt auf einen großen Stock in den kühlenden Schatten eines Baumes. Etwas mühsam und mit fast hörbarem Knirschen seiner arthritisch gebeugten Knie ließ er sich nieder. Sein Haar leuchtete schneeweiß und das Gesicht zeigte tiefe Falten, aber seine Augen blitzten so wach wie eh und je.

Erst näherten sich drei kichernde Mädchen, dann folgte ein älteres Paar und eine Gruppe junger Männer. Kurze Zeit später umringte ihn eine Menschentraube. In dem Stimmengewirr verstand man kaum ein Wort, dennoch war dem Alten klar, was die Menschen von ihm wollten. Eine fesselnde Geschichte.

„Bitte erzähl uns, wie es mit Lucan, Aiana und den anderen Kriegern weitergegangen ist.“

„Du hast uns nicht verraten, wer das unbekannte Paar ist.“

„Handelt die nächste Geschichte von Kiona und Adrian?“

Viele weitere Fragen prasselten auf ihn ein, doch er ließ sich wie immer nicht aus der Ruhe bringen. Er lehnte sich an den Stamm und hob die Hände. Sofort legte sich eine erwartungsvolle Stille über die Ansammlung.

Mit seiner angenehmen Stimme erklärte er: „Heute leben wir im Überfluss und feiern pompöse Feste. Vor vielen Jahren herrschte eine große Hungersnot. Zahlreiche Unwetter hatten den größten Teil der Ernte zerstört und Menschen kämpften ums Überleben. So erging es auch einer armen Bauernfamilie an der Grenze zu Anauá. Die spärlichen Vorräte würden niemals reichen, um die Großeltern, die Eltern und ihre fünf Kinder durch den Winter zu bringen.“

Wie gebannt hingen die Zuhörer an seinen Lippen. Er sprach weiter: „In ihrer Verzweiflung fällten sie eine harte Entscheidung. Die Bauersfrau hatte vor einem Jahr ein kleines Mädchen geboren und sie wussten genau, dass wohlhabende Familien in Anauá gutes Geld für die Kleine zahlen würden. Schweren Herzens hörte sich der Bauer um und fand einen reichen Krieger, der ihnen genug Münzen für den Säugling bot. Seine Absichten schienen ehrenhaft zu sein und mit dem Geld konnten sie alle wohlbehalten über den Winter kommen. Die jüngste Tochter aber würde der Krieger abholen, sobald sie abgestillt war.“

Ungläubig schüttelten einige der Zuhörer die Köpfe.

„Warum kauft jemand einen Säugling?“, fragte ein Mädchen mit dicken Zöpfen und rieb sich über ihre Nasenspitze, die mit zahlreichen Sommersprossen bedeckt war.

Der Alte verzog bedauernd das Gesicht. „Aus vielerlei Gründen. Weil manche Paare keine eigenen Kinder bekommen können.“ Er sah in die Runde. „Oder als günstige Arbeitskraft. Ihr erinnert euch sicher an Amir, der als Junge von dem Lederhändler ausgebeutet wurde. Es kam auch immer wieder vor, dass Familien sich junge Mädchen als zukünftige Ehefrauen für ihre Söhne kauften.

Betretenes Schweigen breitete sich aus und der Erzähler räusperte sich. „Der Mutter brach das Herz. Sie wollte ihr kleines Mädchen dabehalten, das sie mit ihrem zahnlosen Lächeln anstrahlte. Liebevoll strich sie über den weichen, hellen Flaum. Die Bäuerin betete täglich für ein Wunder, das es ihr ermöglichen würde, das winzige Lebewesen zu behalten. Doch die Wochen zogen unaufhörlich durchs Land, und mit jedem neuen Morgenrot, kam der Tag des Abschieds immer näher. Sooft sie konnte, trug sie das Kind im Tragetuch dicht neben ihrem Herzen. Die Vorwürfe, sie würde das Kleine verwöhnen, überhörte sie. Zu früh würde sie ihre Tochter in eine andersartige Welt schicken. In ein unbekanntes Land. Zu Fremden. Zu Kriegern, die die Elemente beherrschten. Sie hoffte, dass es freundliche Menschen waren und sie ihr Mädchen gut behandeln würden. Als die Kämpfer kamen, um das Kleinkind abzuholen, fragte sie, ob die Pflegeeltern ihr einen neuen Namen geben würden oder ob das Kleine den seinen behalten würde. Die Mutter nannte ihnen den Vornamen des Kindes, die Männer nickten und versprachen, dass das Mädchen weiterhin so gerufen werden würde. Eines Tages werde ich mein Mädchen wiederfinden, schwor sich die Mutter im Stillen. Wehmütig sah sie zu, wie die Krieger mit dem Kind davonritten. Mit dem Geld kam die Familie gesund durch den Winter. Doch der Preis war hoch, nie sollten sie ihre Tochter wiedersehen.“

Der Erzähler stockte und er sah, dass sich einige Zuhörer Tränen aus den Augen wischten. Eine schlanke Frau, die ein farbenfrohes Kleid trug, fragte mit brüchiger Stimme: „Warum berichtest du uns heute eine so bedrückende Geschichte?“

„Der Anfang mag traurig sein, aber hört mir genau zu. Ich verspreche, der weitere Verlauf wird euch wieder gefallen“, erklärte er und rieb mit der rechten Hand über seinen Stock.

„Was hat diese Begebenheit mit Lucan und Aiana zu tun? Wer ist das Mädchen?“, wollte ein stattlicher Mann wissen.

Der Sprecher lächelte. „Das ist eine gute Frage. Ihr Name ist Taralyn und ihr habt sie längst kennengelernt. Heute werde ich euch ihre Geschichte erzählen.“



Kapitel 1

Verzweifelt sah sich Taralyn in dem beengten Haus um, in dem sie seit einigen Jahren mit ihrem Ehemann Sitka lebte. Sie hatte drei gemeinsame Söhne mit dem mächtigen Wassergott, die wie ihr Vater und all die anderen männlichen Familienmitglieder die Macht besaßen, das Wasser zu beherrschen. Sie blickte zu den jungen Wasserkriegern, die am kleinen Tisch in der Ecke saßen und hungrig auf ein Abendessen warteten. Ryker, ein hochgewachsener schlanker Junge mit hellen Haaren spielte mit einem Holzstab herum, während Sierk Wassertropfen in eine Schale tröpfeln ließ. Konzentriert kniff ihr mittlerer Sohn die veilchenblauen Augen zusammen, neigte den Kopf mit dem braunen Haarschopf zur Seite und starrte wie gebannt auf den Teller. Silan, ihr jüngster Spross, schlief friedlich in dem geflochtenen Weidenkorb neben dem Kamin. Wie sollte sie ihnen sagen, dass es außer einer wässrigen Suppe, in die sie ein paar verschrumpelte Karotten und einen winzigen Sellerie geschnitten hatte, wieder nichts Sättigendes gab?

Der Vorratsschrank war seit Tagen leer und sie besaß kein Geld, um Lebensmittel zu kaufen. Im Dorf hatte sie bei jedem Händler anschreiben lassen. Sie traute sich kaum mehr, einen Schritt auf die Straße zu setzen. Überall spürte sie die mitleidigen, teils vorwurfsvollen Blicke der Dorfbewohner auf sich ruhen. Taralyn hörte sie reden, sie verurteilten sie. Wer, wenn nicht die Ehefrau, eine gewöhnliche junge Frau, ohne elementare Fähigkeiten, war schuld an dem ganzen Desaster?

Taralyn schnaubte grimmig und strich sich die langen blonden Haare aus dem Gesicht. Niemand machte dem erfahrenen Krieger Sitka Vorwürfe, dabei hatte der vor gut zwei Monaten eines Abends das Haus verlassen und war nie mehr zu ihr und den Kindern heimgekehrt. Ohne Vorwarnung. Besonders bitter traf Taralyn, dass Sitka nicht allein aufgebrochen war. Zusammen mit ihm verschwand Halona, die sie für eine ihrer besten Freundinnen gehalten hatte. Zurück blieben eine verzweifelte Ehefrau und ein wütender Ehemann. Sie kannte Nic, den Heilmeister des Dorfs und Halonas Gemahl, nicht gut, aber sie konnte nachvollziehen, warum er sich von allem zurückgezogen hatte und unter dem Verrat seiner Angetrauten litt.

Sitka und Halona waren zusammen durchgebrannt. Das heimliche Liebespaar hatte in der Fürstenvilla Adrian, einem Feuerkrieger und dem Fürsten von Anaúa eine Botschaft hinterlassen, in der Sitka Taralyn offiziell als seine Ehefrau verstieß und sich von ihr trennte. Für eine Frau gab es keine größere Schmach, als vom Ehemann verlassen zu werden.

Taralyn presste eine Hand auf ihren Mund, um ein Aufschluchzen zu unterdrücken. Sitka hatte außerdem das ganze Geld mitgenommen. Zugegeben, sie waren nie reich gewesen, aber sie hatte sich trotzdem keine Gedanken darüber machen müssen, wie sie das Essen oder Kleidung für ihre Familie bezahlen sollte. Jetzt saß sie mit drei hungrigen Kindern allein und ohne Einkommen da.

In dem kleinen Dorf gab es für eine Frau kaum die Möglichkeit, eine Anstellung zu finden, schon gar nicht, wenn sie außerdem drei lebhafte Söhne beaufsichtigen musste. Die wenigen, bescheidenen Tätigkeiten, die man ihr angeboten hatte, boten nur einen kargen Lohn für tagesfüllende, körperlich harte Arbeit. Sie hätte sich auf den beschwerlichen Broterwerb eingelassen, doch der Verdienst reichte nicht, drei hungrige Mäuler zu stopfen, von ihrem eigenen ganz zu schweigen.

Die Rufe ihrer Kinder holten sie aus den trüben Gedanken. Sie trug die Suppenschüssel zum Tisch und hätte weinen können, als sie die Enttäuschung in den kleinen Gesichtern sah. Die Jungen waren zu gut erzogen, um zu jammern, und aßen schweigend ihr kümmerliches Mahl.

Als ihre Söhne später in ihren Betten lagen, setzte sich Taralyn neben den warmen Herd und grübelte über die Zukunft nach. Sie musste sich schweren Herzens eingestehen, dass es für eine Frau mit Kindern unmöglich war, ohne Ehemann durchzukommen. Andere verschmähte Ehefrauen, die sich in ihrer Lage befanden, würden ihr Hab und Gut packen und mit ihren Söhnen zu ihren Familien ziehen.

Aber Taralyn kannte ihre leiblichen Eltern nicht. Schon als Säugling war sie von Sitkas Sippschaft als zukünftige Ehefrau für Yuval, Sitkas älteren Bruder gekauft worden, der mit einer verkrüppelten Hand geboren worden war und deshalb nur über eine geringe Wasserkraft verfügte. Doch als Taralyn zu einer hübschen jungen Frau herangewachsen war, hatte der attraktive und mächtige Sitka Gefallen an ihr gefunden und sie statt seines Bruders zur Frau genommen. Taralyn hatte niemand dazu befragt, sie war ein gekauftes Mädchen ohne eigene Rechte gewesen.

Der Gedanke, wie es sein mochte, in so großer Not zu stecken, dass man sein eigenes Kind verkaufte, jagte einen eiskalten Schauer über ihren Rücken. Sie ging fest davon aus, dass sie als kleines Wickelkind geliebt worden war und ihre Eltern keine andere Wahl gehabt hatten. Nie würde Taralyn sich von ihren Jungen trennen. Sie waren ihre kostbarsten Schätze.

Doch langsam, aber sicher rutschte sie in eine solche Notlage. Nur würde sie vorher alles Menschenmögliche versuchen, um ihre Kinder bei sich zu behalten. Leider gingen ihr die Ideen aus und sie wusste keinen Ausweg aus ihrem Elend.

Ihr erster Weg hatte sie zu Sitkas Eltern geführt, die offiziell ihre Pflegeeltern waren. Doch nicht umsonst nannte Taralyn sie bewusst „Sitkas Eltern“. Sie selbst hatte, als sie bei den Wasserkriegern unter deren Dach gelebt hatte, nie echte Freundlichkeit oder Herzenswärme erfahren. Von klein auf hatte man ihr zu verstehen gegeben, dass sie nur geduldet wurde und einen einzigen Lebenszweck hatte: Yuvals Ehefrau zu werden. Als Sitka sie für sich beansprucht hatte, war es ihre Aufgabe gewesen, Sitkas gehorsame Gemahlin zu werden und ihm viele Söhne zu gebären, die ebenfalls über die Kraft des Wassers verfügten.

Bevor Taralyn ihre ernste Lage schildern konnte, hatten ihre sogenannten Angehörigen klargestellt, dass sie sich zwar um die Kinder kümmern würden, aber Taralyn nicht bedingungslos durchfüttern würden. Adalar, Sitkas Vater und das Familienoberhaupt, hatte angeordnet, dass sie Yuval heiraten musste, wenn Sitka nicht zurückkommen würde.

Taralyn schüttelte sich, packte ihre langen hellen Haare und flocht sie zu einem langen Zopf. Niemals würde sie dessen Gemahlin werden. Der hagere Wasserkrieger mit den struppigen Haaren und den schiefen Zähnen war kein netter Ziehbruder gewesen. Er hatte sie schon als kleines Mädchen gequält und herumgeschubst. Niemals würde sie sich und ihre Kinder einem solchen Mann freiwillig ausliefern. Umgehend hatte sie das Anwesen ihrer Schwiegereltern verlassen und beschlossen, dass sie schnellstens eine andere Lösung finden musste. Wenn Sitkas Familie erfuhr – und das würden sie leider früher, als ihr lieb war – dass sie überall Schulden angehäuft hatte, dann würden die Wasserkrieger sie zwingen, den grausamen Yuval zu heiraten.

Verzweifelt dachte Taralyn an ihre Freundinnen. Wenn sie ihnen ihre Notlage schildern würde, wären sie sicher bereit, ihr zu helfen. Doch Taralyn schämte sich für ihre Armut und wollte ihre Freundinnen nicht in Verlegenheit bringen oder ihnen das Gefühl geben, dass die Frauen für sie und die Kinder sorgen mussten. Denn keine ihrer Freundinnen verfügte über ein Einkommen oder besaß ein eigenes Vermögen. Majara und Naoma wohnten mit ihren Ehemännern Kowi und Liwan in bescheidenen Häusern. Taralyn dachte an ihre zierliche dunkelhaarige Freundin Aiana, die vor einem Jahr mit ihrem Sohn Jaro aus einem Nachbarland hierher geflohen war. Mittlerweile lebten Aiana und deren Gemahl Lucan, ein Beherrscher des Blitzes und Donners und Jaros Vater, mit ihrem Sohn in einem ausladenden Anwesen und ihre Freundin arbeitete seit einiger Zeit regelmäßig in der Krankenstation. Sie half Nic, dem Heilmeister des Dorfs, bei der Versorgung der Kranken und Verletzten, dennoch bezweifelte Taralyn, dass die junge Frau für diese Tätigkeit genug verdiente, um ihre Freundin und deren drei Kinder durchzufüttern.

Taralyn presste die Fäuste in ihre Augenhöhlen und atmete tief durch. Sie wusste keinen Ausweg mehr - bis auf einen Einzigen. Doch dafür musste sie ihren ganzen Stolz und ihre Würde opfern, wobei sie von beidem ohnehin fast nichts mehr besaß. Außerdem durfte niemals jemand erfahren, was sie vorhatte. Und sie brauchte die Hilfe von Aiana, ohne ihrer Freundin zu verraten, wobei sie eigentlich half. Taralyn schluckte verzweifelt die Tränen hinunter, die ihre Wangen herabliefen. Weinen brachte sie nicht weiter, im Gegenteil, es kostete nur Kraft. Entschlossen wischte sie sich über die Augen.

Als Erstes würde sie Aiana fragen, ob ihre Freundin und Lucan einige Tage auf ihre Kinder aufpassen könnten. Dann musste sie allein in die nächste Stadt wandern. Ihr Herz klopfte schon bei dem Gedanken, ohne Schutz den Wald zu durchqueren, doch die eigentliche Feuerprobe kam erst danach. Sie wusste, wenn sie nicht zimperlich war, konnte sie an einem ganz bestimmten Ort in wenigen Stunden ein Vermögen verdienen. Die Tränen ließen sich nicht länger unterdrücken. Allein bei der Vorstellung, was sie mit fremden Männern tun musste, wurde ihr übel. Aber sie sah keinen anderen Ausweg.

In der Stadt gab es ein Bordell, kein gewöhnliches, sondern ein exklusives Etablissement, von dem sie gerüchteweise gehört hatte. Dort würde sie … arbeiten. Geld verdienen, für sich und ihre Söhne. Nichts anderes zählte.

***

„Aufstellung! Wir wiederholen die Übungen!“ Die Stimme des alten Lehrmeisters schallte über den Übungsplatz. Akira massierte mit der Faust die verspannten Hals- und Schultermuskeln. Dann streckte der Erdkrieger die muskulösen Arme in die Luft und absolvierte zusätzliche Dehnungsübungen. Suchend sah sich Akira auf dem Platz um. Sekunden später durchbohrte ihn ein scharfer Schmerz, als er sich in Erinnerung rief, dass er nicht wie früher mit Sitka kämpfen würde.

Verdammt, sein bester Freund hatte vor einigen Wochen das Dorf verlassen. Unschlüssig stand Akira am Rand. Er hatte nicht ausschließlich mit dem Wasserkrieger an seinen Kräften gearbeitet, aber mit keinem anderen Kampfpartner hatte er so einwandfrei harmoniert. Tahmoh, ihr Lehrmeister, dessen Gesicht von tiefen Furchen durchzogen war und der als erfahrener Erdkrieger seit Jahren die Krieger anleitete, runzelte verärgert die Stirn und winkte Akira mit einer knappen Handbewegung herbei.

„Hast du meinen Befehl nicht verstanden, Krieger?“, fragte der alte Kämpfer unwirsch.

Akira verzog das Gesicht, als er die Rüge seines Lehrers vernahm. Widerstrebend stieß er sich von dem Baum ab, der am Rand des Übungsfelds Schatten spendete und marschierte zu Aidan. Adrians Halbbruder verfügte ebenfalls über die Macht des Feuers. Anders als Sitka und Akira, die ihre Kräfte bändigten und taktisch einsetzten, verlor der um Jahre jüngere, hitzköpfige Aidan regelmäßig die Beherrschung, was ihm stets barsche Zurechtweisungen von Tahmoh und Adrian einbrachte.

Aidan spielte mit seiner Feuerkraft herum, indem er wie ein kleiner Junge winzige Feuerbälle in die Luft warf. Akira verdrehte die Augen. Bei den Göttern, warum wurde er mit so einem Übungspartner gestraft? Der dunkelhaarige Aidan drehte sein Handgelenk und erschuf eine Feuerspirale.

„Da bist du endlich! Sag mal, wolltest du neben dem Baum Wurzeln schlagen?“, witzelte der Feuerkrieger.

„Halt den Mund“, presste Akira genervt zwischen den Lippen heraus.

Sein Kampfpartner schüttelte sich vor Lachen. „Verstehst du nicht, mit der Kraft der Erde …“

„Ich sagte, du sollst still sein“, wiederholte Akira mit nachdrücklicher Stimme.

„Ruhe! Akira und Aidan, ihr lauft zwanzig Runden um den Platz. Alle anderen wiederholen die Übungen so lange, bis ich mit jedem einzelnen Krieger zufrieden bin“, bellte Tahmoh.

Akira warf dem Unruhestifter einen wütenden Blick zu, dann schluckte er eine weitere zornige Erwiderung hinunter und rannte los.

***

Am Morgen versicherte sich Taralyn vor dem Spiegel, dass man ihr die geweinten und ungeweinten Tränen nicht ansah, bevor sie wie geplant Aiana um einen Gefallen bat und ihr Silan anvertraute. Sierk und Ryker würden später nach dem Unterricht gemeinsam mit Jaro zu Aiana und Lucan heimgehen. Taralyn schluckte die bittere Galle, die ihr bei den Gedanken an die nächsten Tage im Hals aufstieg. Als Aiana sie fragte, ob alles in Ordnung sei, nickte sie und versuchte sich sogar an einem Lächeln. So tief war sie gesunken, dass sie ihrer Freundin eine Lüge auftischte.

Rasch winkte sie zum Abschied, bevor sie ihre Schultern straffte und eilig durchs Dorf schritt. Dabei hob sie ihr Kinn und ignorierte die mitleidigen Blicke der Menschenmenge.

Am Übungsplatz winkte ihr ihre Freundin Majara zu und Taralyn bemühte sich, ihre innere Unruhe und Anspannung zu verbergen. Im Augenwinkel entdeckte sie Akira, der sie gewohnt missbilligend anstarrte. Rasch beschleunigte sie ihre Schritte und atmete erst erleichtert auf, als sie ihre Freundinnen erreichte. Sie wollte nur kurz mit ihnen plaudern und sich dann auf den Weg machen, um endlich wieder Geld für eine ordentliche Mahlzeit zu verdienen.

***

Völlig verschwitzt und müde von dem kraftraubenden Vormittag, lehnte sich Akira an den alten Holztisch. Majara und ihre Freundinnen brachten endlich das Mittagessen. Schon seit Jahren bezahlte er die Ehefrau seines Freunds Kowi dafür, dass sie nicht nur für ihren Ehemann, sondern ebenfalls für ihn kochte. Majara reichte ihm eine Tasse mit einem dampfenden Eintopf und er setzte sich auf eine harte Holzbank am anderen Ende des Felds. Ihm war heute nicht nach Gesellschaft. Während er die sättigende Mahlzeit verspeiste, ließ er seinen Blick über die belebte Straße wandern. Geschäftig wie Ameisen eilten Dorfbewohner an ihm vorüber.

Er führte den Löffel zu seinem Mund, als er erstarrte. Was wollte Taralyn hier? Obwohl sie einige Fuß von ihm entfernt stand, erkannte er ihre zarte Gestalt. Wie eine kleine Prinzessin stolzierte sie die Straße entlang. Das beige, eng anliegende Kleid betonte ihre schmale Taille und die vollen Brüste. Die hellen Haare flatterten im Wind und ihre veilchenblauen Augen funkelten. Eine brodelnde Wut zog seine Eingeweide schmerzhaft zusammen. Diese Frau trug die Schuld daran, dass ein guter Krieger die Flucht ergriffen hatte. Mit ihrem ständigen Jammern, Heulen und Zetern hatte sie seinen besten Freund in den Wahnsinn getrieben. Frustriert knallte Akira die Schale auf den Tisch. Ihm war der Appetit gänzlich vergangen.

Taralyn. Allein ihr Name regte Akira maßlos auf. Als Sitka ihm vor Jahren zum ersten Mal erzählt hatte, dass er das zierliche blonde Mädchen zur Frau nehmen würde, hatte Akira alles getan, um seinen Freund davon abzuhalten. Erfolglos.

Er wusste, dass Sitkas Familie Taralyn als kleinen Säugling für ihren Sohn Yuval erworben und gemeinsam mit den eigenen Kindern erzogen hatte. Als Kind war sie unscheinbar und anhänglich gewesen. Akira erinnerte sich noch gut daran, dass die Kleine ihnen ständig hinterhergerannt war und dann geheult hatte, weil sie die Spiele zu wild oder anstrengend fand. Kaum hatte man ihr einen leichten Schubs gegeben, waren Tränen über ihre Wangen gelaufen. Später als junge Frau hatte sie sich immer für etwas Besseres gehalten und sie hatte meist arrogant geschwiegen, wenn sie alle Spaß zusammen gehabt hatten. Nie wollte sie lange feiern und hatte Sitka stets die Ohren voll gejammert, dass sie nach Hause wollte und müde sei. Sitka hätte sich nie auf die Ehe einlassen und die anstrengende Frau seinem Bruder Yuval überlassen sollen.

Akira beobachtete Taralyn aus zusammengekniffenen Augen. Sie schritt an ihm vorbei und gesellte sich zu ihren Freundinnen. Er schnaubte abfällig, als er ihr glockenhelles Lachen vernahm. Taralyn tat, als sei alles in bester Ordnung. Nein, gar nichts war gut und es gab keinen Grund so unbeschwert zu strahlen. Diese Worte hätte er Taralyn am liebsten an den Kopf geworfen.

Ein lauter Ruf erschallte und kündigte das Ende der Kampfunterbrechung an. Heiße Wellen des Zorns erweckten seine Kräfte. Der Boden bebte, das Geschirr auf den Tischen klirrte und einige seiner Kumpane warfen ihm gereizte Blicke zu. Aidan boxte ihn locker gegen seine Schulter. „Du solltest mal Dampf ablassen …“

Diese harmlosen Worte reichten, um Akira endgültig die Fassung verlieren zu lassen. Ohne weiter darüber nachzudenken, hob er den Arm und ein riesiges Erdloch verschluckte den jungen Krieger. Ehe er seinen Kampfpartner lebendig begraben konnte, rannte Adrian, ihr Anführer, auf ihn zu und brüllte: „Schluss damit! Hol Aidan sofort aus der Erde!“ Der Fürst baute sich drohend vor Akira auf.

„Er hat zwei gesunde Beine, er kann selbst aus dem Loch kriechen“, antwortete Akira kühl.

„Niemals setzen wir unsere Kräfte bewusst gegeneinander ein. Das gilt auch für dich!“ Adrian stemmte die Arme in seine Hüften, legte den Kopf schief, dann hob er langsam und drohend die Hände wieder an. „Entweder du befolgst meinen Befehl oder ich werde dich am eigenen Leib spüren lassen, wie sich ein Hühnchen fühlt, das lebendig geröstet wird.“

„Denkst du, dass ich wegen ein bisschen verbrannter Haut vor Angst schlottere?“, konterte Akira. Er wusste nicht, warum er sich heute derart von Adrian und Aidan provozieren ließ, aber seine Lippen waren schneller als sein normalerweise kühler Verstand. „Hol ihn selbst herauf, wenn dein Bruder dir so am Herzen liegt.“

Kowi, ein Beherrscher des Blitzes und Donners, trat zu Akira und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Akira, komm schon, es ist für gewöhnlich Lucans Part, Adrian so herauszufordern. Beruhige dich! Was ist heute mit dir los?“

„Misch dich nicht ein!“, knurrte Adrian den Blitzkrieger an. Dann richtete der Fürst seine ganze Wut auf Akira. Grob packte Adrian ihn am Arm. „Du holst ihn heraus!“

Schon in frühen Jahren war sich Akira seiner Größe und Macht bewusst gewesen. Nie hatte er sich von anderen herumschubsen lassen. Aufsässig verschränkte er die muskulösen Arme vor der Brust. Aidan versuchte die steile, erdige Wand des Erdlochs, das ihn so plötzlich verschluckt hatte, hochzuklettern. Schadenfroh sah Akira, dass er immer wieder abrutschte und hinabfiel. Tahmoh beendete das Spektakel. Mit einer Geste hob der alte Krieger das Erdreich an und befreite den Feuerkrieger aus dem Gefängnis.

Akira straffte seine Muskeln und in Erwartung einer blutigen Abreibung seines Anführers ballte er die Fäuste. Doch Adrian stand stocksteif neben ihm. Eine bedrohliche Stille breitete sich am Übungsplatz aus. Selbst der Spaßvogel Aidan hielt ausnahmsweise seine vorlaute Klappe. Der Fürst legte den Kopf in den Nacken und ließ ihn gemächlich kreisen. Dann hallte Adrians kalte Stimme über den Platz. „Verschwinde, ich will dich fünf Tage nicht bei den Kampfübungen sehen.“

Mit einem Schlag fiel Akiras ganze aufgestaute Wut in sich zusammen. Er fuhr sich mit der Hand über das verschwitzte Gesicht. Auf einen blindwütigen Angriff hätte Akira mit einem Gegenschlag gekontert, aber diese Strafe nahm ihm den Wind aus den Segeln. Der Ausschluss vom Übungskampf bedeutete eine geringere Entlohnung und es galt als Schande, pausieren zu müssen. „Adrian …“

„Nein, du hast meinen Befehl gehört. Entweder du verschwindest freiwillig oder ich rufe die Wächter. Dann wirst du die nächsten fünf Tage im Kerker schmoren“, knurrte der Fürst mit bedrohlich funkelnden grauen Augen.

Akira wusste, wann es klüger war, den Kopf einzuziehen und eine Niederlage einzugestehen. Ergeben hob er die Hände. „Es tut mir leid. Ich hätte nicht die Beherrschung verlieren dürfen.“

Adrian strafte ihn mit eisigem Schweigen. Peinlich berührt verließ Akira den Übungsplatz und rannte durch die Straßen nach Hause. Was sollte er mit der freien Zeit anfangen? Er besaß nur ein winziges Zimmer über einem schmuddeligen Laden. Schnell trugen ihn seine Beine zu dem Gebäude, da fiel sein Blick auf einen Haufen Brennholz, das der alten Ladenbesitzerin gehörte. Holzhacken. Was half besser, angestaute Wut abzubauen, als körperliche Arbeit? Er packte die Axt und schnappte sich ein Stück Holz.

Wütend und frustriert spaltete Akira mit der großen Axt ein Holzstück nach dem anderen. Am liebsten hätte er alles um sich herum kurz und klein gehackt. Stattdessen ließ er seine Gefühle an dem Holzberg aus. Mit einem fleckigen Tuch wischte er sich den Schweiß von seinem kahlen Schädel.

Akira sollte sich dringend ablenken und wieder erden. Das passte zu ihm, er war der Beherrscher der Erde. Normalerweise war er ein ausgeglichener und bodenständiger Mensch. Er schätzte die Arbeit mit seinen Händen, liebte die Natur und war ein Einzelgänger. Seine Freunde hatten sich der Reihe nach Ehefrauen gesucht, doch er hatte nicht das Bedürfnis verspürt, sich zu binden.

Erschöpft stellte Akira die Hacke neben dem Holzhaufen ab und atmete tief durch. Die Ladenbesitzerin trat vor das Haus und starrte ihn erst verwundert an, dann verzog sich ihr faltiges Gesicht zu einem Lächeln. „Danke, Akira! Ich wünschte, meine Kinder würden sich so um mich kümmern, wie du es tust.“

Akira wehrte den wortreichen Dank der alten Frau, der er einen Monatsvorrat an Brennholz gespalten hatte, verlegen ab, während er das Ergebnis seiner Arbeit ordentlich neben deren Eingangstür aufstapelte.

Er musste wieder zu seiner Mitte finden und sich beruhigen. Taralyn war nicht sein Problem. Sein Freund Sitka war ein erwachsener Mann, der selbst Entscheidungen traf. Man musste das Leben nehmen, wie es kam, und sollte lernen, mit Veränderungen umzugehen, statt dagegen anzukämpfen. Er sagte sich dieses Mantra im Stillen mehrmals auf und langsam beruhigte sich sein Puls. Er würde sich in Ruhe bei Adrian entschuldigen, dann in die Stadt reiten und sich einen Besuch im Bordell gönnen. Er verdiente eine Nacht mit einer reizenden Frau, ohne Verpflichtung, nur Spaß und Erholung. Keinen Gedanken würde er an Taralyn verschwenden.

***

Lucan, Beherrscher des Blitzes und Donners, fuhr sich frustriert durch seine kurzen hellen Haare, die schon in alle Richtungen abstanden. Heute hasste er seinen ehemaligen Freund Sitka abgrundtief. Wie hatte der Wasserkrieger ihn in diese verdammte Lage bringen können?

Über Jahre hatte Sitka geduldig mit den jungen Kriegern geübt. Sein Ruf, einer der fähigsten Lehrmeister im ganzen Land zu sein, war Sitka rasch zu Kopf gestiegen und er hatte gerne mit den erfolgreichen Leistungen seiner Schüler geprahlt. Aus heiterem Himmel hatte Sitka dann beschlossen, dass er genug von dem Leben, seiner Gefährtin, Söhnen, Freunden und seiner Berufung hatte und war mit einer verheirateten Frau durchgebrannt. Ein Schwall kaltes Wasser traf Lucan an der Schulter und er riss die Arme in die Luft. Sofort lud sich die Atmosphäre elektrisch auf. Als er sich umdrehte, waren alle Schüler folgsam auf ihren Plätzen. Lucan kniff die Augen zusammen, ihn würden sie so schnell nicht mehr täuschen. Vor ihm standen keine braven Schulkinder, sondern die Ausgeburten der Hölle.

„Sollen wir die Übungen wiederholen?“, fragte sein Sohn Jaro, der mittlerweile ebenfalls zu den Unruhestiftern gehörte, mit unschuldiger Stimme. Das Funkeln in den Augen seines Sprösslings verriet die Absicht des Kleinen. Seit Stunden trafen die jungen Krieger Lucan „zufällig“ mit ihren Kräften. Lucan wusste nicht mehr, wie oft kaltes Wasser, beißender Wind und glühende Hitze seine Haut malträtiert hatten.

„Nein“, knurrte er. „Wir werden mit Gewichten arbeiten. Jeder nimmt sich einen Stein und trägt ihn von dem einen Rand zum anderen.“

Das kollektive Stöhnen schenkte ihm kurz Befriedigung. Er beobachtete die Jungen, wie sie mühevoll die schweren Steine schleppten. Jeder wollte seine Stärke zeigen und die kleinen Drachen wählten bewusst große Brocken. Wenigstens würden sie dann müde werden und Jaro würde am Abend ermattet ins Bett fallen. Ein Lächeln erhellte Lucans Gesicht, bei dem Gedanken an seine zauberhafte Frau Aiana. Heute Nacht …

Ein Schrei holte ihn in die bittere Realität zurück. Bei den Göttern! Lucan wünschte, Adrian würde von einer Giftschlange gefressen werden. Was hatte sich der Fürst dabei gedacht, ihm diese Rasselbande auf den Hals zu hetzen?

Sierk brüllte herum und hob die Arme, um seinen Bruder mit Wasser anzuspritzen. Wütend marschierte Lucan zu den Geschwistern und fuhr sie an: „Was ist hier los? Ich sagte, ihr sollt den Stein über das Feld tragen!“

Sofort redeten beide auf ihn ein, sie fuchtelten mit den Händen herum und eiskaltes Wasser traf Lucan am Kopf. Wenn die Jungen wüssten, wie knapp er davorstand, jedem von ihnen eine saftige Ohrfeige zu verpassen! Unvermittelt brach Sierk in Tränen aus und Lucan fragte sich zum hundertsten Mal, wie Sitka den Unterricht täglich überstanden hatte. Aus den Wortfetzen der Kinder entnahm er, dass Ryker Sierk gestoßen hatte und Sierk der Stein auf den Fuß gefallen war.

Lucan ging in die Hocke und ein Blick auf das Bein des Jungen zeigte, dass der kleine Wasserkrieger sich den Fuß verletzt hatte. „Bitte beruhige dich, Sierk. Jaro und Ryker, ihr geht mit ihm zu Nic. Kannst du laufen?“

Der verwundete Junge weinte jämmerlich und verneinte. Lucan schickte die restlichen Schüler nach Hause. Sollten sich ihre Eltern mit den halbwüchsigen Irren befassen, er hatte genug von ihnen. Er hob den kleinen Wasserkrieger hoch und trug den Bengel, gefolgt von Ryker und Jaro zu Nic. Leider traf er den Heilmeister nicht persönlich an, dafür schenkte ihm seine Ehefrau Aiana, die in der Krankenstation mitarbeitete, einen heißen Kuss.

„Nic ist unterwegs, aber ich kümmere mich um Sierk.“

Lucan lehnte seine Stirn an ihren Scheitel und küsste sie zärtlich auf den Kopf. „Danke! Sie rauben mir heute wieder den letzten Nerv. Ich freue mich schon auf den Moment, wenn Jaro in seinem Bett liegt.“

Aiana holte zischend Luft. „Schatz, ich muss dir etwas sagen …“

Lucan brummte genervt: „Was?“

„Taralyn hat mich heute Morgen besucht, sie musste in die Stadt. Sie hat mich gebeten, ein paar Tage auf Ryker, Sierk und Silan aufzupassen.“

„Du hast hoffentlich abgelehnt?“

„Nicht direkt.“

„Aiana!“

„Reg dich nicht auf, das sind kleine Kinder und keine Monster.“

„Das glaubst du. Warte nur ab. Du wirst die Wahrheit erkennen.“

Aiana küsste ihn liebevoll und strich über seine Wange. „Ich liebe dich.“

„Du hast Glück, dass ich dich auch liebe.“

„Ach, habe ich?“, fragte sie mit Schalk in den Augen.

„Ja, hast du. Ich muss zurück zum Übungsplatz und Ordnung schaffen, dann hole ich euch wieder ab.“

„Gut, wir warten hier auf dich. Majara passt inzwischen auf Silan auf, bis ich hier fertig bin und dann werde ich den Kleinen abholen.“

Lucan lief zurück und sammelte gereizt die Stöcke und Holzschwerter ein, als Adrian wie ein Verrückter auf ihn zu rannte und brüllte: „Wo sind die Schüler?“

„Wahrscheinlich zu Hause“, brummte Lucan.

„Was heißt wahrscheinlich?“, knurrte Adrian.

„Vielleicht sind sie woanders“, sagte Lucan. Ehe Adrian sich aufblasen und abermals zu toben beginnen konnte, ergänzte Lucan: „Es ist mir egal, was du mir zu sagen hast. Ich wollte nie Lehrer sein und ich habe die Nase gestrichen voll. Du kannst dir einen anderen suchen!“

„Und wen soll ich bitte nehmen? Dein Vater Sakima wäre geeignet, aber der will lieber mit deinem Schwiegervater stundenlang zum Angeln gehen. Kowi ist dafür nicht geschaffen. Ja, und über Akira will ich in nächster Zeit nicht reden, ich habe ihn für einige Tage vom Übungsplatz verbannt.“

Das weckte Lucans Interesse. „Was ist passiert?“

„Was hast du an dem Satz: Ich will in nächster Zeit nicht über Akira reden, nicht verstanden?“, fuhr Adrian ihn an.

Lucan klopfte ihm schadenfroh auf die Schulter. „Ach, komm schon, Adrian, lass uns ein Bier trinken und darüber reden, dann geht es dir besser.“

„Du bist zu lange in der Sonne gewesen oder hast deinen Verstand verloren! Ich gehe sicher nicht mit dir in eine Schenke und schütte dir mein Herz aus!“

Lucan zuckte mit den Schultern. „Na gut, dann erzähle ich dir nicht, was Aiana neulich bei Nic erlebt hat.“

„Wie geht es Nic? Hat er sich etwas beruhigt?“, fragte der Fürst voller Interesse.

Lucan lächelte süffisant und ließ Adrian stehen.

„Himmel, dann gehen wir ein Bier trinken! Bist du jetzt zufrieden?“ Resigniert folgte Adrian Lucan durch das Dorf. „Aber bilde dir bloß nichts darauf ein.“



Kapitel 2

Der Weg in die Stadt Yulom war beschwerlich und führte Taralyn durch einen dunklen Wald. Sie hastete so schnell durch den unheimlichen Ort, dass sie immer wieder über Wurzeln stolperte.

Taralyn hoffte, nicht auf Banditen zu stoßen. Resigniert schloss sie die Augen. Selbst wenn, was konnte ihr schon passieren? Dass ein Unhold sie schändete? Heute Abend würde sie unter einem fremden Mann liegen, der seine wilden Triebe an ihr ausleben würde. Bei den Göttern, sie flehte um die Hilfe ihrer Ahnen und betete um ein Zeichen. Doch nichts geschah.

Stunden später erreichte Taralyn die Stadt wohlbehalten und sah sich suchend um. Sie wusste aus Erzählungen, dass sie nach einem prunkvollen Haus mit breiten Säulen Ausschau halten musste. Am Rande der Provinzstadt reihten sich armselige Hütten aneinander und es stank erbärmlich nach Unrat und menschlichen Ausdünstungen. Nie war sie so dankbar für die abgetragenen Lederschuhe, die ihre Füße vor dem dreckigen Boden schützten. Auf den Straßen wimmelte es von Menschen, die sie misstrauisch musterten und sich dann wieder ihren Tätigkeiten zuwandten.

Sie lief weiter, bis sie ein Gebäude entdeckte, das zu den hinter vorgehaltener Hand geflüsterten Erzählungen der unverheirateten Krieger passte. Die junge Frau atmete tief durch und klopfte an die schwere Eichentür. Ein grobschlächtiger Mann öffnete und knurrte: „Was ist Euer Begehr?“

Taralyn fasste sich ein Herz und sagte mit fester Stimme: „Ich bin auf der Suche nach Arbeit.“

Ungeniert gaffte sie der Türsteher an, dann trat er zur Seite und bedeutete ihr mit einem knappen Nicken, dass sie ihm folgen sollte. Mit mühsam unterdrückter Furcht überquerte sie die Schwelle und staunte, als sie das elegante Vorzimmer entdeckte. Ängstlich folgte sie dem Mann durch lange Gänge, bis sie vor einer kleinen weißen Tür ankamen. Er klopfte zweimal kurz und öffnete, ohne auf eine Antwort zu warten. Im Inneren umfing sie eine Wolke aus blumigem Parfüm, das ihr pochende Kopfschmerzen verursachte. Hinter einem dunklen Tisch saß eine modisch gekleidete ältere Dame, deren Haare zu einem strengen Knoten frisiert waren. Die Frau hob fragend eine Braue.

„Wir haben eine Neue“, erklärte ihr Begleiter tonlos.

Die Frau erhob sich, trat unangenehm nahe an Taralyn heran, umrundete sie und musterte sie von oben bis unten kritisch. „Sie hat einen ansehnlichen Körper. Das Kleid ist scheußlich.“ Naserümpfend wandte sich die Fremde wieder ab.

Taralyns Wangen brannten. Sie trug ihr bestes Kleidungsstück, das sie gestern frisch gewaschen hatte.

Die Frau trat zu einer Truhe und zog ein hauchzartes Kleidchen hervor, das sie Taralyn mit dem knappen Befehl „Anziehen“ reichte. Suchend blickte sich Taralyn im Raum um, da lachte die Hausdame bellend auf. „Wenn du schüchtern bist, bist du hier falsch, meine Liebe.“

Der grobschlächtige Türsteher grinste verschlagen, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gemütlich an die Wand. Er würde bleiben und anstarren, was bisher außer ihrem Ehemann kein männliches Wesen zu sehen bekommen hatte.

Taralyn schluckte ihren Stolz hinunter, zog sich ihr Kleid über den Kopf und schlüpfte in das Kleidungsstück, das mehr zeigte, als es verbarg. Währenddessen prasselten peinliche Fragen auf sie ein, die sie knapp beantwortete.

„Für wie viele Männer hast du schon die Beine breitgemacht?“

„Nur für meinen Ehemann.“

„Hast du Kinder geboren?“, wollte die Frau wissen.

„Nein“, log Taralyn, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Weiß dein Mann, was du hier treibst, oder schickt er dich her?“

„Er ist tot“, antwortete sie knapp. Diese Lüge ging ihr noch leichter von den Lippen.

„Verstehst du was davon, in einem Mann Begehren zu entfachen?“

„Ja.“

„Dann beweise es mir“, forderte die ältere Frau heraus und sah demonstrativ zu dem gaffenden Mann. Taralyn zögerte einen Augenblick, dann riss sie sich zusammen. Langsam sah sie über die Schulter. Obwohl sich alles in ihr sträubte, setzte sie ein betörendes Lächeln auf und zwinkerte dem Türsteher verführerisch zu. Als der grobschlächtige Mann dümmlich grinste, wusste sie, dass man ihr das Schauspiel abkaufen würde.

„Bring sie zu den anderen Mädchen. Sie sollen ihr alles zeigen.“ Mit diesen Worten beendete ihre Arbeitgeberin das demütigende Gespräch und die erniedrigende Begutachtung.

***

Das Holzhacken hatte Akiras Zorn so wenig gemildert wie ein Bad mit kaltem Wasser. Da Akira seine Schmach nicht mit den anderen Kriegern besprechen und einen schweigsamen Ritt in die Stadt bevorzugte, erzählte er keinem von seinem geplanten Ausflug ins Bordell.

Rasch sattelte er seinen Hengst und der flotte Ausritt ließ seine Wut verrauchen.

Die Außenbezirke von Yulom mit ihren Schenken mied Akira. Ihm war nicht nach Alkohol, sondern nach einem anderen Weg, seine Misere für eine Weile zu vergessen. Zielstrebig trabte er zu einem vertrauten Gebäude mit hohen Säulen.

Dort in der Nähe führte Akira sein Pferd zum Unterstand, reichte dem Stallburschen die Zügel und eine Münze. Dankbarkeit funkelte in den Augen des Jungen und er nickte ihm freundlich zu. Akira drehte sich um und überquerte die Straße. Das Etablissement war ein altehrwürdiges Herrenhaus, das in ein Freudenhaus umgewandelt worden war. Ein stattlicher Wächter beugte sich vor, um ihm die Tür aufzuhalten. Akira ging schweigend an dem Mann vorüber in den Vorraum, wo eine vollbusige Frau ihre Arme nach seinem Umhang ausstreckte. Sie starrte ihn lüstern an, als wollte sie ihm am liebsten die Tunika und seine Hose abnehmen und nicht nur seinen Überwurf. Akira schüttelte abwehrend den Kopf und zog den Stoff fest um sich. Nach der lustvollen Vereinigung wollte er rasch aufbrechen und keine Zeit damit vertrödeln, seine Kleidung bei diesem Weib wieder abzuholen.

Er ignorierte ihre Proteste, durchquerte den kleinen Raum und schritt durch ein breites Portal.


***

Eine beißende Gänsehaut ließ Taralyn frösteln. Dieses dünne Kleidchen war zu nichts zu gebrauchen. Sie wünschte, sie wäre zu Hause bei ihren Kindern, statt dem angsteinflößenden Kerl durch das Gebäude zu folgen. Er brachte sie in eine Kammer, in der sich einige Frauen aufhielten. Sie saßen oder standen herum. Ein Schauer lief über ihren Rücken, als Taralyn in die abgestumpften, abgebrühten Augen der jungen Mädchen sah. Wieder rieb sie ihre kalten Arme.

„Dir wird schon bald heiß werden. Glaub mir, wenn die ersten Männer kommen, wirst du schwitzen“, stichelte eine hagere Rothaarige mit hohlen Augenhöhlen und eingefallenen Wangen. Einige der Prostituierten lachten und warfen ihr abschätzige Blicke zu. Verunsichert schluckte Taralyn, sie wusste, dass hier den Frauen vieles abverlangt wurde, aber dies sollte ein edles Etablissement sein, warum sahen die Frauen so geschwächt und mitgenommen aus?

Ein anderer Diener brachte einen Kübel mit warmem Wasser und die Frauen wuschen sich. Danach besprühten sie sich mit intensiven Düften und richteten ihre Haare. In einer Kiste befanden sich Masken, jede Dirne schnappte sich eine und sie bedeckten damit ihre Gesichter.

Mit einem Knarren öffnete sich die Tür und die Hausdame erschien im Rahmen. „Meine Damen, es ist so weit. Macht mich stolz oder ihr werdet es bereuen.“ Die Herrin trat zur Seite und die Mädchen stürmten aus der Kammer. Taralyn ließ sich von der Menge treiben und wenig später fanden sie sich in einem großen Festsaal ein.

Die Fenster verbargen sich hinter dichten Vorhängen. In dutzenden Kronleuchtern brannten zahllose Kerzen. Auf einer Anrichte standen Getränke in edlen Kristallkaraffen – offensichtlich nur für die Besucher, denn keine der Frauen bediente sich. Überall im Raum befanden sich breite Sofas mit dicken Kissen. Alles wirkte prachtvoll, von der Verderbnis, die sie in jedem Winkel zu spüren glaubte, sah man auf den ersten Blick nichts.

Gequält schloss Taralyn die Augen. Wenn sie in den nächsten drei Nächten jeweils mehrere Freier bediente, würde sie genug Geld verdienen, um damit endlich wieder anständiges Essen für ihre Kinder kaufen zu können. Zum Tilgen ihrer Schulden bei den Händlern müsste sie sich wochenlang hier verkaufen. Bei dem Gedanken wurden ihre Knie weich, doch sie öffnete ihre Augen nicht, bis aufgeregtes Tuscheln ihr verriet, dass die ersten Kunden eingetroffen waren. Sie verzog die Lippen, als sie die derbe Art mitansehen musste, wie manche Männer mit den jungen Mädchen umgingen.

Sie zählte zu den ältesten Frauen in dieser Runde, aber das ahnte die Hausbesitzerin nicht. Hätte die gewusst, wie alt Taralyn war und dass sie drei Kinder geboren hatte, dann hätte man sie gewiss vor die Tür gesetzt. Ihr jugendliches Aussehen hatte selbst die erfahrene Bordellleiterin getäuscht.

Der einzige Lichtblick war die Maske, die einen Teil ihres Gesichts verdeckte. Das gab ihr den nötigen Halt und ein kleines Gefühl der Sicherheit. Man würde sie nicht erkennen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn jemand aus dem Dorf von ihrem verzweifelten Versuch, Geld zu verdienen, erfuhr.

Nervös biss Taralyn auf ihrer Lippe herum. Sie fragte sich zum gefühlt hundertsten Mal, ob es eine gute Idee gewesen war, herzukommen. Übelkeit stieg in ihr hoch und sie schluckte mehrmals, um sich zu beruhigen.

Der Abend schritt voran. Männer kamen, allein oder in kleinen Gruppen, suchten sich eine Dirne aus, und verschwanden mit ihr in einem der Hinterzimmer, bevor sie einige Zeit später beschwingt wieder das Bordell verließen. Taralyn versuchte mit vor Angst schmerzendem Magen, die Aufmerksamkeit der Freier zu erregen, indem sie die provokanten Posen der anderen Frauen nachahmte. Sie konnte sich allerdings nicht überwinden, das dünne Kleidchen so weit herunterzuziehen, dass ihre Brüste entblößt dalagen. Es hochzuziehen, traute sie sich schon gar nicht.

Die meisten Männer schenkten ihr ohnehin kaum einen Blick, sondern marschierten zielstrebig auf eine bestimmte Dame zu und die anderen Frauen verteidigten ihr Revier mit vollem Körpereinsatz.

Entmutigt ließ Taralyn die Arme hängen. Würde sie gar keinen Freier abbekommen? War alles umsonst gewesen?

***

Unzählige Kerzen erleuchteten den ehemaligen Ballsaal, der dazu genutzt wurde, die zahlenden Herren mit den willigen Damen zusammenzuführen. Suchend sah Akira sich um. Leider schien keines der Mädchen, mit denen er sich gerne vergnügte, frei zu sein. Leise verfluchte Akira die Götter, die ihm derzeit nicht wohlgesonnen waren. Hätte er nicht herkommen sollen?

Ein blumiger Duft stieg in seine Nase. Die Hausdame näherte sich. „Mein Herr, kann ich Euch behilflich sein?“

Akira runzelte die Stirn, als er das begierige Funkeln in den Augen der älteren Frau erkannte. Sie hakte sich bei ihm unter und führte ihn durch die Menge. Sie beugte sich verschwörerisch vor und pries die Vorzüge ihrer Untergebenen an. Unauffällig deutete sie mit dem Kinn auf eine dralle Frau mit weiblichen Kurven, die neben einer Säule lehnte. Dann präsentierte die Geschäftsfrau ihm ein so junges Mädchen, dass Akira ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Niemals würde er ein Kind schänden. Angewidert verzog er das Gesicht und schwor sich, dieses verruchte Anwesen nicht mehr aufzusuchen. Als er den Mund öffnete, um der Besitzerin des Hauses seinen Entschluss mitzuteilen, sah er sie.

Die Hausdame deutete auf eine zierliche Gestalt mit langen, hellen Locken, deren Rundungen von dem kleinen Stück Stoff, das sie trug, kaum verhüllt wurden. Nur ihr Gesicht blieb unter der hier für die Dirnen üblichen Maske verborgen. Trotzdem reagierte sein Körper prompt, seine Lenden pochten und sein Puls beschleunigte sich. Er knirschte mit den Zähnen, als ihm die gierige Besitzerin weit mehr Münzen als üblich abknöpfte. Angeblich sei er ihr erster Freier. Wer das glaubte, musste ein Narr sein! Dennoch griff er in seinen Lederbeutel, fischte die geforderte Summe heraus und drückte sie der Frau in die Finger.

***

Plötzlich fühlte Taralyn ein seltsames Kribbeln, das ihr den Rücken hinab rieselte. Jemand beobachtete sie. Ein vorsichtiger Blick über ihre Schulter bestätigte ihre Vermutung. Ein großer, stattlicher Mann in einem Umhang mit Kapuze lehnte sich zu der Hausdame vor und sie sprachen leise. Die Gebieterin des Hauses deutete auf Taralyn und sie hielt den Atem an. Wäre er ihr erster Freier?

Geschmeidig wie ein Raubtier kam der Mann auf sie zu. Ihr Herz klopfte so schnell, als wäre sie einen Hügel hinaufgelaufen. Verlegen senkte sie den Blick und leckte über ihre trockenen Lippen.

„Ich mache das für die Kinder“, beschwor sie sich stumm.

Taralyn straffte ihre Schultern und richtete sich auf. Langsam hob sie ihre Lider und schaute ihrem potenziellen Kunden ins Gesicht. Lässig schlug der Mann seine Kapuze zurück und das Licht der vielen Kerzen erleuchtete seine markanten Gesichtszüge.

Erschrocken hielt Taralyn den Atem an. Nein, das durfte nicht wahr sein. Sie blinzelte mehrmals. Leider änderte das nichts. Mit Schrecken sah sie, wer direkt vor ihr stand und ihr stumm den Arm reichte. Sie zögerte. Wenn sie jetzt nicht ihre Chance ergriff, war alles umsonst gewesen. Himmel, warum musste ausgerechnet dieser Mann heute Nacht hier sein und sie auswählen? Kurz schloss sie die Augen, dann griff sie nach der Hand ihres ersten Freiers. Akiras Hand. Die Hand des besten Freundes ihres Ehemanns.

***

Akira bot der fremden Dame seine Hand, doch anstatt willig mitzukommen, zögerte sie. Endlose Augenblicke später reichte sie ihm ihre zarten Finger. Sein Blut drohte allein bei der unschuldigen Berührung überzukochen. Eine nie gekannte, heftige Vorfreude erfüllte jede seiner Poren und er konnte nicht schnell genug eine der bescheidenen Kammern im Obergeschoss aufsuchen.

Eine einzige Kerze beleuchtete den Raum, der außer einem schmalen Bett leer war. Kaum hatte er die Tür geschlossen, da zog er sie schon an sich und presste seinen Mund hungrig auf ihren. Unbändige Wellen der Lust überrollten ihn und nach kurzem Zögern öffnete sie ihre Lippen und lud seine Zunge zu einem heißen Tanz ein. Gierig drückte er sie gegen die Tür und allein ihre Küsse versetzten ihn in einen Taumel der Glückseligkeit. Er hatte schon viele Frauen geküsst, doch keine hatte ihn jemals so angezogen.

Als er versuchte, die lästige Verkleidung zu entfernen, hinderte sie ihn daran. Frustriert stöhnte er auf und knurrte: „Nimm bitte die Maske herunter, ich will dein Gesicht sehen.“

Sie schüttelte den Kopf. So ein widerspenstiges Mädchen. Er lächelte siegessicher. Er würde sie überzeugen. Erneut fanden seine Lippen den Weg zu ihrem heißen Mund und die Flammen erwachten wieder zum Leben. Während er sie küsste, dirigierte er sie zum Bett und sie ließen sich darauf fallen. Spielerisch knabberte er an ihrem Ohr und verteilte federleichte Küsse auf ihrem Kinn. Als sie wohlig seufzte und kurz abgelenkt war, riss er ihr blitzschnell die Maske vom Gesicht. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Kübel eiskalten Wassers.

***

Zu spät durchschaute Taralyn Akiras Absicht. Obwohl sie sofort ihre Hände schützend vor ihr Gesicht legte, erkannte er sie augenblicklich. Sein ganzer Körper spannte sich an und die feurigen Blicke wurden zu einem eiskalten Starren.

Langsam ließ sie die Hände sinken und hob herausfordernd das Kinn.

Wütend funkelte er sie an. „Taralyn, bist du wahnsinnig geworden? Was machst du hier?“

Sofort presste sie eine Hand auf seinen Mund, keine Minute zu früh, denn schon hämmerte es an der Tür und ein Diener fragte barsch, ob alles in Ordnung sei. Sie bestätigte und zischte: „Schrei nicht so herum!“

Er senkte die Stimme. „Warum bist du in diesem Haus?“

Sie hob eine Braue.

Mit großen Augen starrte er sie entgeistert an. „Die Hausdame hat gesagt, dass ich dein erster Freier bin.“

„Ja, und hoffentlich nicht mein Letzter. Ich habe heute Nacht viel vor!“

Abschätzig verzog er die Lippen.

„Du brauchst mich gar nicht so anzusehen, du bist Kunde in diesem Bordell.“

Zu ihrer Überraschung nickte er und erhob sich aus dem Bett. Aufgeregt lief er im Zimmer auf und ab und fuhr mit der Hand über seinen kahlen Kopf. „Himmel, in was für eine Lage hast du dich gebracht?“

Taralyn verschränkte die Arme vor der Brust. „Das hat dich nicht zu interessieren.“

Er blieb stehen. „Was passiert mit den Kindern? Hast du sie allein im Dorf zurückgelassen?“, fragte er leise.

„Nein, ich habe sie bei Aiana gelassen und hole sie in einigen Tagen wieder ab.“

„Lass mich raten, du möchtest ein paar Nächte hierbleiben, etwas Geld verdienen und dann gehst du zurück nach Hause?“ Seine Stimme troff vor Sarkasmus.

„Wie ich schon gesagt habe, das geht dich nichts an. Du solltest jetzt verschwinden!“

Doch anstatt ihrer Bitte Folge zu leisten, kam er auf sie zu und baute sich vor ihr auf. „Bist du von Sinnen? Die Bordellbesitzer werden dich nicht mehr ziehen lassen, mit dem Eintritt durch diese Tür hast du dein Schicksal besiegelt. Sie werden dich hierbehalten, von dem Geld wirst du so gut wie nichts zu sehen bekommen.“

Panik stieg in Taralyn hoch und sie schnappte nach Luft. „Du lügst! Du willst mir absichtlich Angst machen.“

Er schüttelte den Kopf.

Erneut klopfte es an der Tür. „Seid ihr bald fertig? Sonst kostet es extra Münzen. Der Nächste wartet schon.“

„Verdammt!“ Akira fluchte leise und schob rasch das Bett vor die Tür, um die Wächter daran zu hindern in den Raum zu stürmen.

Taralyn überlegte, was sie tun sollte. Ihr Blick fiel auf das kleine Fenster. Akira schien zu ahnen, was sie vorhatte. Sie schlichen gemeinsam zur Fensteröffnung. Als Taralyn es öffnen wollte, musste sie feststellen, dass es klemmte. Akira schob sie zur Seite und nach mehreren kräftigen Rucken, gab das Holz nach und er öffnete den Fensterladen. Leider verursachte dies ein unangenehmes Geräusch und sie wussten, dass ihnen die Zeit davonlief. Sie konnte leicht durchschlüpfen, aber für Akira würde es schwer werden.

Vorsichtig warf sie einen Blick in die Tiefe und sofort schlug ihr Herz heftig in ihrer Brust. Der Boden schien meilenweit entfernt zu sein. Energisch schob Akira sie beiseite, hob eine Hand und ließ seine Magie wirken. Ein Erdhügel wuchs an der Hauswand in die Höhe.

Lautes Krachen verriet ihr, dass die Wachen gleich die Tür aufbrechen würden. Schnell schlüpfte sie durch das winzige Loch und sprang auf den Hügel. Akira zwängte sich ebenfalls durch, landete auf der Erde und schnappte sie am Arm. Gemeinsam liefen sie hinab und er führte sie zu einem dürftigen Unterstand. Er winkte dem Stallburschen kurz zu, der sie wortlos passieren ließ. Rasch packte Akira die Zügel seines Pferdes und schwang sich auf den Rücken des überraschten Tiers. Der Krieger reichte ihr seinen Arm und mit einem Ruck saß sie vor ihm. Er drückte dem Hengst die Beine in die Seiten und sie ritten in die finstere Nacht.



Neugierig, wie es weitergeht?


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